KataCom

Prof. Dr. Wolf R. Dombrowsky

Katastrophen: Entstehung und Ablauf

In den meisten Fällen sind „Katastrophen“ vermeidbare Ereignisse. Sie wären vermeidbar gewesen, wenn die Handelnden die Bedingungen und Mittel ihres Handelns unter vollständiger Kontrolle gehabt hätten. Ex post facto ließe sich sagen, dass alles, was gut ging, der Beleg dafür ist, dass die Handelnden die Bedingungen und Mittel ihres Handelns unter vollständiger Kontrolle hatten. Umgekehrt lässt sich folgern, dass alles, was schief ging, der Beweis dafür ist, dass die Bedingungen und Mittel des Handelns nicht unter Kontrolle waren.

Empirie wie gesunder Menschenverstand zeigen, dass „vollständige Kontrolle“ ebenso unerreichbar ist, wie vollständige Information. Entscheiden wie Handeln sind stets mehr oder weniger gewiss.

Gewissheit hat, zumindest historisch, mehr mit Gewissen zu tun als mit Wissen, jedoch versteift sich die Moderne immer einseitiger auf Wissen. Deswegen dominieren Risikodiskurse, während Abwägungsdiskurse, die auf Verantwortbarkeit und Zumutbarkeit abzielen, aus den Berücksichtigungsdiskursen der Entscheider beinahe gänzlich verschwinden.

Paradigmatisch stehen dafür die Personen J. Robert Oppenheimer und Edward Teller oder aktuell die Diskurse um „Fridays For Future“ oder die „Klima-Kleber“.

Letztlich bleibt immer die Frage, was wir zu riskieren bereit sind und wer dafür „zahlen“ muss, wenn es „schief geht“? Abermals, sozusagen im paradigmatischen Brennglas, lässt sich von der systemischen Verantwortungslosigkeit eines Andreas Scheuer lernen oder vom systematischen Verschiebebahnhof von Zuständigkeiten am Beispiel der Loveparade-Panik.

Denken wir also vom Ende her, so stellt jede „Katastrophe“ die empirische Widerlegung, oder in Paraphrase Sir Karl Poppers, die „Real-Falsifikation“ anfänglicher Gewissheiten dar. Aufgabe und Fähigkeit empirischer Katastrophenforschung ist es dann, entlang dessen, was „schief“ ging, ähnlich der Auswertung eines „flight recorder“, die Verzweigungen der Abläufe aufzuklären, bis der manchmal lange und manchmal weniger lange Weg vom Wagnis bis zur Katastrophe plausibel erklärt werden kann.

Dieser Weg lässt sich als Trajektorie fassen, oftmals durch vielfache Bezugs- und Einflussebenen. So war das Erdbeben, das 1906 angeblich San Franzisko zerstörte, eigentlich „nur“ die auslösende Einflussebene. Als viel maßgeblicher erwiesen sich die Einflussebenen „Bauweise“, „Infrastruktur“, „Warnwesen“ und „Hilfesystem“. Tatsächlich ist San Franzisko 1906 durch einen Feuersturm niedergebrannt. Die vorwiegende Holzbauweise, die Gasanschlüsse ohne jede Absperrautomatik, der Zusammenbruch der Wasserversorgung (Löschwasser) und die Mängel des damaligen Warn- und Rettungswesens stellten die wirklichen Katastrophen dar.

Das Beispiel verdeutlicht die grundlegende Problematik: Ab welcher Einflussebene wäre eine Trajektorie in die Katastrophe absehbar gewesen? Schon mit dem Goldrausch 1848 und dem sprunghaften Anwachsen der Bewohner von 900 auf 20.000 innerhalb von einem Jahr? Der Stadtplan von San Francisco von William Mathewson Eddy (1849) zeigt die extrem dichte Bebauung.