Die aktuelle Erregung ist übergroß. Die Aussprache über den Haushalt gerät dem Deutschen Bundestag zu einer Generaldebatte über Migration. Abschiebung und Grenzschließung erscheinen immer mehr Parlamentariern wie auch der Mehrheit der Bevölkerung als Allheilmittel. Heilen diese Mittel? Natürlich nicht. Die Reaktionen der Nachbarländer, insbesondere von Österreich, verdeutlichen den Konstruktionsfehler des Schengen-Vertrages: Die Öffnung der innereuropäischen Grenzen vor der Errichtung einer verlässlichen gesamteuropäischen Außengrenze ist der (verhängnisvolle) zweite Schritt vor dem ersten. Nun mag man einwenden, dass beim Abschluss des Schengen-Abkommens 1985 nicht absehbar war, dass regionale Kriege, Bürgerkriege und vielfache Katastrophen über die Welt hereinbrechen und Millionen Menschen in Bewegung versetzen werden. Der UNHCR verzeichnete 2023 weltweit 117,3 Millionen Menschen, die aus diesen Gründen ihre Heimatregionen verlassen haben. Etwas Besseres als den Tod finden sie dann dort, wo es Zugang zu Trinkwasser, Ernährung und Behausung gibt, doch geht es nicht allein und vor allem nicht auf Dauer ums bloße Überleben. Wie überall sehnen sich Eltern danach, dass es ihren Kindern einmal besser gehen möge und mit ihrer Hilfe letztlich auch ihnen selbst. Wer es sich halbwegs leisten kann, schickt also die Robustesten in wohlhabende Länder, in der Hoffnung, am Wohlstand teilzuhaben. Und so landen vor allem junge Männer und Mütter mit Kindern an mit der moralischen Pflicht, Wohlstandanteile nach Hause zu senden.
Stoßen die Ankömmlinge auf den erhofften Wohlstand? Natürlich nicht. Es fehlt an allen Enden. Keine Wohnungen, keine (sofortige) Arbeit, kaum Sprachkurse, keine Schul- und Kindergartenplätze und kein Willkommen mehr. Die Kommunen sehen sich überfordert, den Bürgern reißt der Geduldsfaden. Nicht nur in Deutschland wächst die Sehnsucht nach starken und harten Lösungen. Doch was wären Lösungen?
Man schaue nur auf Bezahlkarten und Streichung von Geldleistungen. Sie führen dazu, dass die „Scouts für ein besseres Leben“, die Geld nach Hause schicken und Schleuser bezahlen müssen, vor dem Nichts stehen. Der Weg ins Dunkle öffnet sich – nicht für alle, aber für die Bereiten und Anfälligen. Prostitution, Drogen, Kriminalität oder Verelendung und Bettelei geraten zur Alternative. Doch schreckt das ab, lassen die Zuströme nach? Natürlich nicht. Der Überlebensdruck einer immer knapper und brutaler werdenden Welt nimmt nicht ab, sondern weiter zu. Der Tag, an dem die natürlichen Ressourcen der Erde verbraucht sind, fiel 2024 auf den 1. August. Das restliche Jahr leben wir sozusagen auf Pump, oder besser formuliert: Wir verbrauchen doppelt so viel wie nachwächst. Fruchtbarer Boden und vor allem Trinkwasser werden knapp, auch wenn wir es in Deutschland (noch) nicht direkt fühlen. Dafür fühlen es all jene, die für uns Tomaten, Orangen, Avocado oder Blumen anbauen, ebenso wie jene, die Baumwolle an- oder seltene Erden abbauen. Der deutsche Verbrauch von virtuellem Wasser ist vermutlich schlimmer, als es der reale Kolonialismus je war. Die Autos, die wir fahren oder die Jeans, die wir tragen verarmen ganze Landstriche. Damit jedes Jahr ein neues Smartphone auf den Markt kommen kann, werden ganze Landstriche in Wüsten verwandelt, vielleicht auch bald in der Nähe. Doch über den Wahnsinn einer Verschwendungsökonomie wird nicht gesprochen, im Gegenteil, man beschwört den wirtschaftlichen Untergang, wenn Wachstumsraten ausbleiben. Dabei liegt die Lösung des Migrationsproblems in der globalen Ökonomie, oder besser: in einer global gerechten und nachhaltigen Versorgung aller Menschen mit haltbaren und klimaneutral erstellten Gütern. Fände jeder/jede ein Auskommen, wo er/sie geboren wird, gäbe es keine Migration, sondern nur gegenseitigen Austausch. Doch wer will diese Botschaft schon hören? Vielleicht ist das die wirkliche Katastrophe.